Viele Sportler:innen kennen Müdigkeit und Erschöpfung nach harten Trainingsphasen. Doch nicht jede Form der Ermüdung ist gleich – und nicht jede führt automatisch zu mehr Leistung. Um Training wirklich smart zu steuern, ist es wichtig, die Unterschiede zwischen funktionalem Overreaching (FOR), nicht-funktionalem Overreaching (NFOR) und dem Overtraining-Syndrom (OTS) zu verstehen. Gleichzeitig spielt das Nervensystem als Steuerzentrale der Erholung eine entscheidende Rolle – und einfache Herzfrequenz-Messgrößen liefern wertvolle Einblicke in den aktuellen Zustand.
Geplant und kontrolliert eingesetzt, etwa in Trainingslagern oder Belastungsblöcken.
Führt kurzfristig zu Müdigkeit und Leistungsabfall.
Nach einer gezielten Erholungsphase kommt es zu Superkompensation – die Leistung steigt über das Ausgangsniveau.
Ein wertvolles Werkzeug, wenn bewusst geplant.
Entsteht durch ungeplante zu hohe Reize, fehlende Erholung oder zu viele aufeinanderfolgende Belastungen.
Leistungseinbruch bleibt über längere Zeit bestehen.
Statt Fortschritt droht eine Abwärtsspirale.
Kritisch: NFOR ist ein Übergangszustand, der unbehandelt ins Overtraining-Syndrom münden kann.
Das OTS ist kein verlängertes Overreaching, sondern ein eigenständiger, pathologischer Zustand der Fehlanpassung.
Kennzeichen von OTS:
Leistungseinbruch über Wochen bis Monate.
Psychische Symptome: Motivationsverlust, Depression, Reizbarkeit.
Erhöhte Verletzungsanfälligkeit und häufige Infekte.
Hormonelle Dysbalance: Cortisol ↑, Testosteron ↓, Schilddrüsenhormone ↓.
Autonome Dysregulation: Verschobenes Gleichgewicht zwischen Sympathikus und Parasympathikus.
Anhaltende Entzündungen und blockierte Regeneration.
Es gibt keinen einzelnen Biomarker, der Overtraining sicher diagnostiziert. Die Kombination macht’s:
Kategorie
Subjektiv
Physiologisch
Leistungstests
Beispiele
Fragebögen (z. B. Hooper Index), wahrgenommene Ermüdung
HRV ↓, Ruheherzfrequenz ↑, Hormonmessungen (Cortisol/Testosteron), CK, CRP
Sprungtests, Sprintzeiten, Maximalkraft – plötzliche Einbrüche sind Warnzeichen
Typische Warnzeichen:
Erhöhter Ruhepuls (RHR).
Niedrige HRV.
Chronische Müdigkeit, Schlafprobleme.
Sinkende Motivation und Konzentration.
Wiederkehrende Infekte.
Langanhaltender Muskelkater oder Gelenkschmerzen.
Stagnation oder Leistungsrückgang trotz Trainingsumfang.
Monitoring bedeutet mehr als nur Daten erfassen – es heißt auch Training anpassen:
Subjektive Marker: RPE, Hooper Index, Mood Scores.
Belastungskennzahlen: Volumen, Intensität, Frequenz.
Monotony & Strain:
o Monotony = Ø Wochenbelastung ÷ Standardabweichung der Belastung → hohe Werte = immer gleiche Belastung = Risiko.
o Strain = Monotony × Wochenbelastung → Maß für kumulative Trainingslast.
Autoregulation: Tägliche Anpassung von Volumen, Intensität oder Pausen an die tatsächliche Tagesform.
👉 So lassen sich funktionale Overreaching-Phasen gezielt steuern und nicht-funktionales Overreaching oder Overtraining frühzeitig vermeiden.
FOR (funktional): Bewusst einsetzen, danach Deload/Regeneration einplanen.
NFOR (nicht-funktional): Sofort Trainingsvolumen und -intensität reduzieren, Schlaf, Ernährung und Stressmanagement in den Vordergrund stellen.
OTS (Overtraining-Syndrom): Belastung über Wochen bis Monate stark reduzieren, keine komplette Inaktivität, sondern aktive Regeneration (leichte Bewegung, Atemarbeit, Mobility). Rückkehr nur langsam und unter Monitoring von HRV, RHR und Leistungstests.
Oft sinnvoll: multidisziplinäres Vorgehen mit Coach, Sportmediziner und Psychologe.
NFOR und Overtraining sind nicht nur „zu viel Training“, sondern gehen mit tiefgreifenden biologischen Veränderungen einher:
Entzündungsmarker wie CK, LDH und CRP steigen.
Hormonprofile verschieben sich (Cortisol ↑, Testosteron ↓, Schilddrüsenhormone ↓).
Chronische Anpassungsstörung: Die Dichte von β₂-Adrenozeptoren in der Muskulatur kann sinken → reduzierte Reizantwort, schlechtere Regeneration.
Glukosehaushalt: HbA1c kann langfristig ansteigen → Hinweis auf gestörte Blutzuckerregulation.
Balance-Problem: Nicht nur zu wenig, auch zu viel Erholung (Über-Recovery) kann Anpassungen verhindern.
👉 OTS ist daher ein systemisches Problem – es betrifft Stoffwechsel, Hormone, Nerven und das Immunsystem.
Erklärungen:
CK (Kreatinkinase): Enzym, das bei Muskelschäden ins Blut gelangt. Hohe Werte = Muskelüberlastung.
LDH (Laktatdehydrogenase): Enzym des Energiestoffwechsels, steigt bei Gewebeschädigung.
CRP (C-reaktives Protein): Entzündungsmarker im Blut.
Cortisol: Stresshormon, erhöht bei Überlastung.
Testosteron: Wichtig für Muskelaufbau und Regeneration.
β₂-Adrenozeptoren: Bindungsstellen für Adrenalin/Noradrenalin in den Muskeln; steuern Energie- und Muskelreaktionen.
HbA1c: Langzeitwert für Blutzuckerregulation (wird z. B. auch bei Diabetes gemessen).
Die Steuerzentrale der Erholung sitzt nicht in den Muskeln, sondern im autonomen Nervensystem (ANS).
Aktiv in Stress- und Belastungssituationen.
Erhöht Herzfrequenz, Blutdruck, Blutzucker; setzt Adrenalin/Noradrenalin frei.
Bereitet auf Fight-or-Flight vor, mobilisiert Energie.
Aktiv in Ruhe- und Erholungsphasen.
Senkt Herzfrequenz und Blutdruck, fördert Verdauung und Schlaf.
Reguliert Entzündungen, aktiviert Reparaturprozesse und das Immunsystem.
👉 Balance ist entscheidend: Belastung aktiviert den Sympathikus – doch nur wenn der Parasympathikus übernimmt, können Heilung und Anpassung stattfinden. Dauerhafte Sympathikus-Dominanz führt zu Stresshormon-Übermaß, schwächt das Immunsystem, erhöht das Verletzungsrisiko und bremst die Regeneration.
Ursache: Neurotransmitter-Erschöpfung, ANS-Dysregulation, mentale Überlastung.
Symptome: Motivationsverlust, Konzentrationsprobleme, verminderte Leistungsfähigkeit trotz „intakter“ Muskulatur.
Ursache: Energiespeicher erschöpft, Stoffwechselendprodukte (Laktat, H⁺-Ionen) häufen sich.
Symptome: Muskelbrennen, lokaler Kraftabfall, Muskelkater.
👉 Häufig liegt Stagnation nicht in der Muskulatur, sondern in ZNS/ANS-Dysbalancen.
Training fordert den Sympathikus, Erholung braucht Parasympathikus.
Atemübungen (Nasenatmung, 4:7:8), Schlaf und nährstoffreiche Ernährung aktivieren gezielt den Parasympathikus.
HRV-Tracking ist das beste objektive Tool zur ANS-Bewertung.
Coaches sollten Erholung nicht nur nach Muskelschmerzen, sondern nach Nervensystem und Markersteuerung planen.
Die Herzfrequenz ist ein einfaches, aber mächtiges Fenster in den Erholungsstatus. Drei Größen sind besonders relevant:
Niedrig = gute kardiovaskuläre Fitness und Erholung.
Erhöht über dem Normalwert = Hinweis auf Überlastung oder Stress.
Messung: morgens direkt nach dem Aufwachen.
Misst, wie schnell die Herzfrequenz nach Belastung sinkt.
Schneller Abfall = starke parasympathische Aktivierung = gute Erholung.
Langsamer Abfall = Hinweis auf Ermüdung oder ANS-Dysbalance.
Formel: RPP = Herzfrequenz (bpm) × systolischer Blutdruck (mmHg).
Zeigt den Sauerstoffbedarf und die Belastung des Herzens.
Geringes RPP bei gleicher Belastung = bessere Herzeffizienz.
Hoher RPP = erhöhtes Risiko bei Überlastung oder Stress.
Regelmäßig messen: RHR täglich morgens, HRR nach Workouts, RPP bei Bedarf.
Individuelle Normwerte bilden: Vergleich über Zeit ist wichtiger als einmalige Werte.
Trainingssteuerung:
o RHR ↑ → Trainingsintensität reduzieren, Fokus auf Recovery.
o HRR ↓ → Warnsignal für Ermüdung → Anpassung der Trainingsbelastung.
o RPP ↑ bei gleicher Leistung → mögliche Überlastung, Herzbelastung prüfen.
Ermüdung ist immer mehrdimensional:
neuronal (ZNS),
metabolisch,
mechanisch,
psychologisch.
Viele Monitoring-Tools (z. B. Herzfrequenz, HRV) erfassen nur die metabolische Dimension. Wer ausschließlich darauf vertraut, übersieht andere Ursachen von Fatigue – etwa zentrale Ermüdung im ZNS oder psychische Überlastung.
👉 Wichtig ist ein ganzheitlicher Blick, der mehrere Marker kombiniert.
Fazit
Overreaching ist nicht per se schlecht – es ist sogar ein leistungssteigernder Mechanismus, wenn bewusst geplant.
Nicht-funktionales Overreaching und das Overtraining-Syndrom sind hingegen echte Leistungs- und Gesundheitskiller, die durch Monitoring frühzeitig erkannt werden müssen.
Das ANS und CNS sind die unsichtbaren Regler deiner Regeneration – sie entscheiden, ob du dich im Stress- oder Heilungsmodus befindest.
Herzfrequenz-Marker (RHR, HRR, RPP) bieten einfache, praxisnahe Werkzeuge, um Erholung zu steuern.
Wer diese Systeme versteht und beachtet, trainiert nicht nur effektiver, sondern bleibt auch langfristig gesund und leistungsfähig.
👉 Trainiere nicht nur deine Muskeln, sondern auch dein Nervensystem und deine Erholungskompetenz – denn nur dann entfaltet dein Training seine volle Wirkung.
Niklas Fricke ist Personal Trainer und Experte für Kniegesundheit mit Fokus auf schmerzfreie Leistungsfähigkeit. Er unterstützt sportlich aktive Menschen in Hamburg dabei, Verletzungen vorzubeugen und ihre Knie langfristig stark zu halten. Mit Qualifikationen als Pain-Free Knee Performance Specialist, Medical Fitness-Coach und Precision Nutrition Coach verbindet Niklas fundiertes Wissen mit praktischer Erfahrung. Seine eigene Geschichte mit Knieproblemen motiviert ihn, individuelle und nachhaltige Trainingslösungen zu entwickeln. Niklas ist außerdem Gastgeber des KneeVit Podcasts, in dem er kompakte, praxisnahe Tipps für junge Sportler teilt.